Die Kinderärztin Alischa Ziemendorff besuchte im Frühjahr 2019 die Projektregion und führte eine Evaluation zur gesundheitlichen Situation der Menschen in den Projektregionen durch. Ihre Erkenntnisse lieferten die Basis für die Projekte zur Gesundheitsprävention.
Ram Chandra Silwal ist Direktor von Green Tara Nepal, einer lokalen Partnerorganisation von Childaid Network. In den Projektregionen von Childaid Network führen die Mitarbeiter von Green Tara Aufklärungsprogramme zu Gesundheitsthemen durch, organisieren Müttergruppen und planen Informationskampagnen in den Schulen.
Dr. Alischa Ziemendorff
Ärztin für Childaid Network im Projektgebiet
Ram Chandra Silwal
Country Director and Coordinator Green Tara Nepal
Unter welchen Erkrankungen leiden die Kinder in der Projektregion?
Ram Chandra Silwal: Die Gesundheit der Kinder ist dreifach gefährdet: Durch übertragbare und nicht-übertragbare Krankheiten sowie durch Mangelernährung. Die Kinder leiden häufig unter akuten Erkrankungen der Atemwege, Diarrhö, Wurmbefall und Hautkrankheiten. Außerdem haben sie Probleme mit den Zähnen und Augen. Die Kinder werden von ihren Eltern häufig zur Arbeit auf den Feldern gezwungen. Daher kommt es oft auch zu Unfällen, etwa wenn sie von Bäumen fallen.
Alischa Ziemendorff: Häufig sind Atemwegsinfekte und asthmatische Beschwerden zum Beispiel durch Holzöfen oder offenes Feuer in den Küchen. Magen-Darm-Erkrankungen mit Durchfall können durch schlechte Hygiene und Tiere im Wohnraum entstehen. Meist fehlt es an Seife zum Händewaschen. Weiter treten Hauterkrankungen, Karies und parasitäre Erkrankungen auf.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Ram Chandra Silwal: Die Kinder werden meist, basierend auf den klinischen Symptomen, von Sanitätern oder Krankenschwestern in den 13 Gesundheitsstationen behandelt. Ein Labor oder eine Radiologie sind nicht vorhanden. Viele Menschen verlassen sich auch auf die Behandlung von traditionellen Heilern. Nach Beginn der Pandemie hat die Regierung zwei Krankenhäuser in zwei Landgemeinden in unserer Projektregion gebaut, aber auch diese sind sehr schlecht ausgestattet. Es gibt einige private Apotheken, die aber sehr teuer sind und Medikamente teilweise irrational einsetzen. Die meisten Menschen suchen erst dann medizinischen Rat, wenn sie in einem kritischen Zustand sind.
Was sind weitere Herausforderungen?
Ram Chandra Silwal: Die Lücken in der Versorgung zwischen ländlichen und städtischen Gebieten sowie armen und reichen Menschen sind sehr groß. Die Menschen glauben oft an Mythen und haben traditionelle Gesundheits-Glaubenssätze, die sich stark von der modernen Medizin unterscheiden. Ein weiteres Problem ist die große Distanz zu den Gesundheitsstationen – man muss meist zwei bis drei Stunden laufen, um eine zu erreichen. Nicht zuletzt gibt es auch finanzielle Hürden, die eine medizinische Versorgung beschränken. Auf Seiten der Gesundheitsstationen sind ebenfalls einige Probleme zu nennen: Sie sind oft schlecht ausgestattet, die Öffnungszeiten sind begrenzt, das Personal meist schlecht ausgebildet.
Ziemendorff: Die Gesundheitsstrukturen sind schlecht etabliert. Das Personal der Gesundheitsstationen ist teilweise unmotiviert. Es gibt kein funktionierendes System für Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere für Kinder und Schwangere. Es gibt in der Bevölkerung außerdem kaum ein Verständnis von psychischen Erkrankungen und auch keine medizinischen Anlaufstellen. Meist werden psychische Probleme einfach verschwiegen oder tabuisiert. Gleiches gilt für körperliche oder geistige Behinderungen.
Was muss getan werden, um die Situationzu verbessern?
Ziemendorff: An erster Stelle steht die Aufklärung und Edukation der Bevölkerung über vermeidbare Krankheiten. Dazu gehört das Wissen über allgemeine Hygiene, Zahn- und Menstruationshygiene, Ernährung von Säuglingen, Vorsorgeuntersuchungen und psychische Erkrankungen. Das Gesundheitspersonal sollte aus- und fortgebildet sowie motiviert werden. Es braucht funktionierende nepalesische Strukturen, zum Beispiel in Form einer staatlichen Basisabsicherung oder Krankenversicherung für alle. Weiterhin benötigt werden funktionierende Gesundheitsstationen und Krankenwägen. Die Zusammenarbeit von Staat und Gesundheitspersonal muss verbessert werden, ebenso die mit traditionellen Heilern. Darüber hinaus braucht es Medikamente und ein besseres Equipment in den Stationen.
Interview: Dr. Miriam Sonnet, Rheinstetten