Die Medizinstudentin Svenja Appuhn war im Sommer 2022 mehrere Monate für ein freiwilliges Praktikum bei einer lokalen Partnerorganisation von Childaid Network in Indien. Sie wollte dabei insbesondere lernen, welche Herausforderungen bei der Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit in der Region bestehen.
Welche Aufgaben hast Du während Deines Praktikums übernommen?
Für ein Kinderrechtsprojekt, das Childaid Network zusammen mit the ant durchführt, habe ich gemeinsam mit den Projektpartner*innen evaluiert, wie es um Kinder- und Müttergesundheit und den Zugang zu Krankenversorgung steht. Die Ergebnisse dienen dem lokalen Projektpartner dazu, sich ein besseres Bild von den gesundheitsbezogenen Problemen und Herausforderungen in den ausgewählten Dörfern zu machen und zu verstehen, welche konkreten Faktoren Gesundheit und den Zugang zu medizinischer Versorgung beeinflussen.
Wie hast Du die dafür notwendigen Daten erhoben?
Gemeinsam mit den lokalen Partnerorganisationen haben wir 220 Kinder untersucht und befragt und Interviews mit 103 Müttern geführt. Außerdem haben wir sogenannte „ASHAs“ interviewt. Das sind Frauen, die für eine sehr geringe Aufwandsentschädigung Menschen in den Dörfern medizinisch betreuen und sie mit dem öffentlichen Gesundheitssystem in Kontakt bringen. Sie unterstützen z.B. schwangere Frauen und junge Mütter, machen sie auf Vorsorgeprogramme aufmerksam und begleiten sie zu Geburten. Zusätzlich haben wir auch mit Pflegekräften und Menschen aus Politik bzw. Verwaltung gesprochen.
Gesundheitszustand der Kinder in Assam
jedes 6. Kind ist zu klein für sein Alter | |
jedes 3. Kind ist anämisch | |
jedes 3. Kind hat keinen Basis-Impfschutz gegen Kinderkrankheiten | |
50% der Kleinkinder mit Durchfallerkrankungen, erhalten keine Behandlung |
Quelle: International Institute for Population Sciences (IIPS) and ICF. 2021. National Family Health Survey (NFHS- 5), India, 2019-21: Assam. Mumbai: IIPS
Wie lange warst Du für dieses Projekt unterwegs?
Ich habe Frauen und Kinder in insgesamt vier Distrikten in Assam in zehn verschiedenen Dörfern besucht und war dafür insgesamt 2 Monate unterwegs.
Wie hast Du die Situation der Menschen vor Ort erlebt ?
Viele Dörfer haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, viele Familien haben außerdem keine eigene Toilette. Ein großer Teil der Frauen und Mädchen hat keinen Zugang zu hygienischen Menstruationshygieneartikeln wie etwa Binden oder Menstruationstassen. Obwohl es mittlerweile ein staatliches Krankenversicherungsprogramm gibt, sind viele Familien darüber nie informiert worden oder haben Schwierigkeiten mit dem Antragsstellungsprozess. Die geringe Verfügbarkeit medizinischer Einrichtungen ist alarmierend. Vorhandene Gesundheitsstationen sind oft schlecht ausgestattet und zusätzlich sehr schwer zu erreichen. Hinzu kommt oft ein sehr geringes Wissen der Bevölkerung über Gesundheitsthemen, was dazu führt, dass Hilfe oft zu spät aufgesucht wird. Die Menschen wissen oft nicht, welche Patientenrechte sie haben und welche Behandlung sie einfordern können. Das ist in der von massiven Konflikten geprägten Region ein Problem und trifft insbesondere diskriminierte Gruppen wie etwa Muslim*innen hart.
Welche Handlungsempfehlungen konntest Du aus Deiner Untersuchung ableiten?
Es ist wichtig, die Menschen vor Ort zu befähigen, ihre Rechte und Ansprüche auch einzufordern und ihnen Selbstbestimmung über ihre eigene Gesundheit zu geben. Hierbei kommt es natürlich darauf an, den Menschen das entsprechende Wissen, auch über Prävention und Vorsorge, adäquat zu vermitteln, sodass sie die Bedeutung verstehen. ASHAs, Gesundheitsagenten*innen und Freiwillige können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Was ist Dein Fazit?
Obwohl sich in den letzten Jahren im indischen Gesundheitssystem einiges getan hat, sind die Herausforderungen noch immer riesig. Viele Programme kommen bei den Menschen nicht an, das öffentliche Gesundheitssystem ist in einem desolaten Zustand. Stattdessen wird immer mehr auf private Krankenversorgung gesetzt, die sich aber insbesondere der ärmere Teil der Bevölkerung nicht leisten kann. Langfristig wird sich in der Region nur etwas ändern, wenn der indische Staat endlich seiner Verpflichtung nachkommt, das Recht auf Gesundheit und qualitative Krankenversorgung für alle zu realisieren. Auf dem Weg dorthin können lokale NGOs dabei helfen, die Menschen dazu in die Lage zu verletzten, Druck auf die Behörden auszuüben und ihre Rechte einzufordern. Außerdem können sie durch Gesundheitsbildung und Stärkung der lokalen Akteur*innen dazu beitragen, dass Menschen sich vor Erkrankungen schützen und selbstbestimmte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen können.
„Jeder Mensch hat ein Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohlergehen gewährleistet. Nicht nur in Nordostindien wird dieses Recht für Millionen Menschen nicht verwirklicht. Diese Ungerechtigkeit ist nur schwer auszuhalten. Ich wünsche mir von den reichen Ländern wesentlich mehr Solidarität.“
Svenja Appuhn, Studentin der Medizin und Praktikantin bei the ant im Sommer 2022