Wie Childaid Network das Leben von Flüchtlingen in Assam nachhaltig verändert
Robert Ewers, Projektmanager, berichtet von seiner Projektreise:
Wir geben Hoffnung für Flüchtlinge
2015 werden nach einer offiziellen Prognose 800.000 Asylbewerber in Deutschland erwartet. Es können aber auch über 1 Million Menschen werden. Diese Zahlen, die Menschen und Schicksale dahinter bewegen uns dieser Tage alle in Deutschland. Es ist ein enormer Aufwand für die Behörden, Kommunen und alle Bürger. Es ist aber gleichzeitig auch ein Charaktertest. In 2015 wurden schon über 500 kleinere, aber auch schwerwiegende Angriffe auf Asylbewerberheime gezählt.
Während meiner Projektreise im Oktober durch Assam und Bangladesch wurden mir häufig Fragen nach der Flüchtlingskrise in Europa gestellt. Meine Gesprächspartner waren begeistert von Merkels Einsatz für Verfolgte. Unser Ruf war lange nicht mehr so gut. Man fragte sich aber, wie Deutschland die Herausforderungen, die durch die große Anzahl entstehen, nun meistern würde. Aus eigenen Erfahrungen weiß man, dies ist nicht einfach. Denn die Kapazitäten sind in diesem Teil der Welt schon längst ausgereizt. Die Behörden überfordert. Menschenleben oft nichts wert.
Assam war die Region mit dem höchsten Anteil an Binnenvertriebenen Ende 2014
Seit 1993 erlebte das westliche Assam wiederholt Ausbrüche von Gewalt, zuletzt Weihnachten 2014: Radikale Bodos überfielen die Dörfer der Santhals, töteten mehr als hundert Menschen und verängstigten Zehntausende, so dass diese in die undurchdringlichen Urwälder flohen. Hinzu kommen Muslime, die vor dem steigenden Meeresspiegel aus Bangladesch fliehen. Zu Jahresbeginn 2015 beherbergte das westliche Assam 345.000 Binnenvertriebene. Mehr als jede andere Region der Welt zu diesem Zeitpunkt. Insgesamt wurden in den fünf Konfliktjahren 1993, 1996, 1998, 2012 und 2014 offiziell über 1,1 Millionen Menschen vertrieben. Trotzdem unterstützen nur eine Handvoll internationaler NGOs die Menschen in dieser Konfliktregion.
Auch während meiner Projektreise erlebte ich eine große Demonstration der Bodos mit. Sie fordern seit Jahren einen eigenen Bundestaat im westlichen Assam. Im September fuhren ca. 10.000 Anhänger auf dem Highway mit Protestschildern und sangen ihre Slogans. Zum Glück blieb es friedlich. Am Folgetag wurde eine bundestaatsweite Verkehrssperre ausgerufen. Wir mussten daher einen geplanten Projektbesuch absagen.
Im Fokus unserer Arbeit: Bildung für Kinder
Wir kennen die Region gut. Seit 2007 arbeiten wir mit den Menschen – unabhängig von Ethnie oder Religion – in Bildungsprojekten intensiv zusammen. Nun sind wir besonders gefordert: Wir möchten den Kindern nach Flucht und traumatischen Erfahrungen wieder Hoffnung und Zugang zu Bildung geben. Nur so kann die Spirale aus Armut, Vertreibung und Gewalt durchbrochen werden. In den Camps organisieren wir provisorische Schulen aus Bambus und bezahlen Lehrer, bis die Familien wieder in ihre Dörfer zurückkehren und die Kinder reguläre Schulen besuchen können.
Aktuelle Evaluierungen positiv
Aktuell gehen 5.285 Schüler in 64 von uns finanzierte Flüchtlingsschulen. Wir haben dieses Jahr eine Evaluation durchgeführt, die unsere Arbeit bestätigt: Durchschnittlich schneiden unsere Schüler deutlich besser ab als gleichaltrige Schüler in den staatlichen Schulen, trotz der äußerst widrigen Umstände in den Camps und Wäldern.
Menschenrechte stärken
Wegen der Konflikte und Diskriminierung haben bisher nur wenige Santhals einen akademischen Grad erworben. In unseren Schulen versuchen sich dieses Jahr nun die ersten 50 Kinder an den Examina der Mittleren Reife. Mit unserer Förderung gehen wir aber über die Schulbildung hinaus. Sozialarbeiter stärken die Menschen, damit sie vom Staat einfordern, was ihnen rechtlich zusteht. Dies benötigt einen langen Atem und viel Unterstützung.
Mädchenclubs beugen Gewalt gegen Mädchen vor
Besondere Unterstützung benötigen die Mädchen: ihre niedrige Stellung in der Familie, die Armut und der Mangel an weiterführenden Schulen führen dazu, dass junge Frauen häufig Opfer von Gewalt und Entführung werden. In unserer Projektregion haben wir deswegen „Mädchenclubs“ gegründet. Sie helfen bei Problemen des Alltags. Unsere Sozialarbeiter klären die Mädchen darüber hinaus über die Gefahren von Schleppern und Kindesheirat auf und helfen ihnen, ihren Bedürfnissen durch Comiczeichnungen oder Theateraufführungen Ausdruck zu verleihen. Wir wollen sicherstellen, dass kein Mädchen zwangsverheiratet wird und alle auch die Sekundarschule abschließen.
Zukunft durch Berufsschulen
Den größten messbaren Effekt gibt es durch unsere vier Berufsschulen in der Konfliktregion. Dieses Jahr wurde in Barpeta Road ein neues Zentrum für 600 Auszubildende (jährlich) eingerichtet. Schon seit 2011 absolvieren in Amguri, Gossaigaon und Bootheachang jährlich ca. 400-500 Jugendliche eine Ausbildung als Schneiderin, Weberin oder Fahrer. Als Selbständige oder Angestellte verdienen sie anschließend ein gutes Einkommen, mit dem sie sich und ihre Angehörigen aus der Armut führen.
Mit unseren bescheidenen Mitteln ist bereits viel passiert für die Flüchtlinge in Assam. Die Menschen schauen trotzdem neidisch und verdutzt auf Deutschland. 12.500 Euro veranschlagen die Länder als pauschale Soforthilfe pro Flüchtling in ihren Kommunen. Mit diesem Betrag könnten wir 500 Flüchtlingen den Schulbesuch im Jahr sicherstellen oder 160 Jugendliche eine berufliche Ausbildung ermöglichen… Wir geben Hoffnung für Flüchtlinge.