Mit seinem Bericht über 50 Jahre der Entwicklungsförderung in einem indischen Dorf begeisterte der Schriftsteller und Journalist Dr. Martin Kämpchen sein Publikum. Die rund 80 Gäste im Haus der Begegnung erlebten seinen authentischen und sehr ergreifenden Vortrag über sein nachhaltiges Engagement und sein Leben inmitten einer indischen Dorfgemeinschaft.
„Ich bin ein Flüchtling im eigenen Lande.“ So stellte sich Dr. Martin Kämpchen den Gästen des 31. Königsteiner Salons vor. Seit 50 Jahren lebt der in Boppard geborene Religionswissenschaftler, Schriftsteller, Übersetzer und Journalist in Indien. Als im vergangenen Frühjahr die Corona-Pandemie ausbrach, wurde er – wie er es selbst ausdrückt – „von der deutschen Bundesregierung evakuiert“. Mit einem vom Außenministerium gecharterten Flugzeug kam er zurück nach Deutschland. „Jetzt warte ich, dass ich wieder zurückkehren kann.“
Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung
Dr. Martin Kasper, Gründer und ehrenamtlicher Vorstand der Königsteiner Stiftung Childaid Network, hatte den ausgewiesenen Kenner der indischen Lebensrealität als Referenten eingeladen, weil dieser vor rund 35 Jahren damit begonnen hatte, in zwei Santal-Dörfern in Westbengalen Entwicklungsarbeit zu leisten. „Er ist so zu einem tiefen Kenner der Zusammenhänge zwischen Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung geworden“, so Dr. Kasper. Santals, erläuterte er, gehören zu den indigenen Völkern Indiens mit eigener Sprache, Religion und Kultur. Sie leben in Westbengalen, wo Dr. Kämpchen wirkt, ebenso in Nordostindien, wo Childaid Network sie fördert. Sie sind vielfach ausgegrenzt und zu 90 Prozent Analphabeten. Bis heute gebe es unter ihnen nur zwölf Akademiker, merkte Dr. Kasper an.
Dr. Martin Kämpchen
Schriftsteller, Journalist und Autor
„Entwicklung muss organisch sein“, meinte Dr. Kämpchen, „fast so wie eine Pflanze wächst und sich entfaltet. Nur dann stellen sich auf beiden Seiten Erfolgserlebnisse ein, die dann den Mut und die Energie zum nächsten Schritt geben. Die Menschen in den Dörfern werden Fähigkeiten erwerben und Verantwortung akzeptieren, wenn es ihnen offensichtlich wird, dass sie notwendig sind.“
Alles Begann mit dem Erfolg zweier Schüler
Die beiden Santal-Dörfer Ghosaldanga und Bishnubati in Westbengalen liegen in der Nähe des Ortes Shantiniketan 150 Kilometer nördlich von Kalkutta, wo der indische Philosoph, Maler, Musiker, Komponist, Dichter und Literatur-Nobelpreisträger Rabindranath Tagore zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Universität gründete. Dorthin zog Dr. Kämpchen nach sieben Jahren, die er in indischen Städten gelebt hatte, um weiter zu studieren und im Fach Vergleichende Religionswissenschaft seine zweite Doktorarbeit über Ramakrishna und Franz von Assisi zu schreiben.
Kontakt zu den beiden Dörfern in der Nachbarschaft bekam er durch zwei Schüler, die aus eigenem Antrieb und gegen den Widerstand ihrer Familien und Dorfgemeinschaften ihren Schulabschluss geschafft hatten und im College studieren wollten. Mehrere Jahre half er ihnen, ihr Studium durchzuführen und abzuschließen. „Das bedeutete für mich ein minimales finanzielles Aufkommen, aber eine intensive persönliche Betreuung und Ermutigung der beiden Studenten“, erzählte er. Er erkannte in ihnen die zukünftigen Initiatoren und Motoren einer dörflichen Entwicklung, verpflichtete sie daher, als Gegenleistung für seine Hilfe in ihrem Dorf eine Abendschule zu gründen und zu leiten.
Unterricht in der Sprache der Dorfgemeinschaft brachte den Wandel
Dass so wenige Santal-Kinder die staatliche Grundschule länger als ein oder zwei Jahre besuchen, liegt nicht zuletzt daran, dass ihre Muttersprache Santali ist, Unterrichtssprache an den Schulen jedoch Bengalisch. „Die Kinder mussten also eine weitere Sprache erlernen, die nicht in ihrer dörflichen Umgebung gesprochen wird, um dem Unterricht folgen zu können. Eine Abendschule, die mit den Dorfkindern Hausaufgaben machte und ihr Wissen prüfte, war also umso notwendiger“, erklärte Dr. Kämpchen. Diese Abendschulen wurden zur Basis der Entwicklungszusammenarbeit. „Wir erlebten, wie immer mehr Eltern ihre Kinder einschulten und immer mehr Kinder ein Schuljahr nach dem anderen absolvierten ohne abzuspringen.“ Hatten sich seine beiden Schützlinge noch mit Willenskraft gegen alle Widerstände durchsetzen müssen, um lernen zu können, mussten sich bald Eltern rechtfertigen, wenn sie ihre Kinder nicht zum Unterricht schickten.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist nachhaltig
Ausführlich erklärte der Indienexperte den Unterschied zwischen städtischem und dörflichem Leben – zwei Welten, die wenig gemeinsam haben. Als Geheimnis einer erfolgreichen Entwicklungs-Zusammenarbeit in den Dörfern sieht er eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Seine Aufgabe sei nicht die des Anführers, erklärte er, sondern die des Mahners und Erinnerers, des Fragenden und Bittenden, damit die in der dörflichen Gemeinschaft einmal gefassten Beschlüsse nicht im Sande verlaufen, sondern konsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden.
Aufzeichnung des 31. Königsteiner Salon mit Herrn Dr. Kämpchen
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